Hat der Arbeitgeber eine Aufklärungspflicht?

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Frau hält Vortrag

Mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrages gehen wechselseitige Verpflichtungen und Rechte des Arbeitgebers und Arbeitnehmers einher. Zu den Verpflichtungen des Arbeitgebers zählt beispielsweise die sogenannte Fürsorgepflicht, auf deren Basis Arbeitnehmer in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten immer häufiger eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Arbeitgeber behaupten. Mit der jüngst ergangenen Entscheidung des OGH zu 9 ObA 114/20 k sorgte der OGH neuerlich für eine Klarstellung: Es gibt keine generelle Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer über seine Arbeitnehmerrechte aufzuklären.

 Dem Anlassfall lag ein Streit zwischen einem Pflegehelfer und einer Gemeinde, die ein Pflegeheim betreibt, zugrunde. Der klagende Pflegehelfer warf der Gemeinde vor, sie hätte ihn auf die Möglichkeit des Bezugs eines von der Gemeinde auszubezahlenden Fahrtkostenzuschusses hinweisen müssen. Es könne nicht die Aufgabe des Arbeitnehmers als juristischer Laie sein, sich hinreichende Kenntnis über mögliche Zulagen, Zuschläge oder Zuschüsse zu verschaffen, so der Kläger. Der Kläger argumentierte weiters, dass der Arbeitgeber dadurch seine Fürsorgepflicht verletzt hätte, und begehrte nun den Ersatz seines erlittenen Schadens.

Der OGH betonte in seiner rechtlichen Beurteilung, dass aus dem Gesetz keine allgemeine Verpflichtung des Arbeitgebers abgeleitet werden kann, wonach er den Arbeitnehmer über seine Rechte aufzuklären hat. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, ob eine konkrete Aufklärungspflicht besteht. Im gegenständlichen Fall hat der OGH eine proaktive Aufklärungspflicht des Arbeitgebers über die Möglichkeit der Beantragung eines Fahrtkostenzuschusses verneint.

Zur Rechtslage

Die oben dargestellte Rechtsprechung des OGH wird in der Literatur bestätigt. Weder aus dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) noch aus dem Angestelltengesetz (AngG) kann eine allgemeine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers abgeleitet werden. Selbst aus dem allgemeinen Schutzcharakter des Arbeitsrechts kann nicht der Rückschluss gezogen werden, dass der Arbeitgeber verpflichtet wäre, den Arbeitnehmer vor seinen eigenen Erklärungen zu schützen oder ihn auf allfällige nachteilige Folgen von Erklärungen aufmerksam zu machen.

Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer daher auch nicht über die für diesen günstigste Rechtslage informieren oder dem Arbeitnehmer Rechtsauskünfte erteilen. Der Arbeitnehmer kann sich vielmehr durch den Betriebsrat oder die gesetzliche bzw. freiwillige Interessensvertretung kostenlos beraten und unterstützen lassen.

Aus diesem Grund besteht beispielsweise keine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers über

  • allfällige nachteilige Folgen einer Kündigungserklärung durch den Arbeitnehmer selbst;

  • mögliche rechtliche Schwachstellen des behaupteten Anspruchs auf vorzeitige Auflösung des Arbeitsvertrages oder

  • die Verjährung von Abfertigungsansprüchen des Arbeitnehmers.

Die Literatur verpflichtet den Arbeitgeber aber beispielsweise dann zur Aufklärung, wenn

  • aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls der Eindruck beim Arbeitnehmer entstehen musste, er wurde richtig und vollständig informiert oder

  • die erteilte Information unrichtig ist.

Verhaltensempfehlung an den Arbeitgeber

Nach der Rechtsprechung und Literatur kann eine vom Arbeitnehmer an den Arbeitgeber gestellte Frage eine Aufklärungspflicht auslösen. Stellt der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber eine konkrete Frage, darf der Arbeitnehmer die erhaltenen Informationen als vollständig und richtig erachten. Andernfalls stehen dem Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber Schadenersatzansprüche zu. Kann der Arbeitgeber die Frage nicht sicher beantworten, empfiehlt es sich, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass für die Erteilung der Auskunft keine Haftung übernommen wird.