Der Mietzins während der COVID-19 Pandemie

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Das Jahr 2020 war auch in rechtlicher Hinsicht ein aufregendes Jahr: Aufgrund der COVID-19 Pandemie traten viele neue Gesetze und Verordnungen in Kraft. Dabei waren vor allem die Rechtsnormen rund um die Ausgangsbeschränkungen und die Geschäftsschließungen jene, die unser privates und berufliches Leben am meisten getroffen haben. Kaum zu glauben, aber inmitten der neuen Gesetze und Verordnungen ist der schon seit Jahrzehnten bestehende § 1104 ABGB jene Bestimmung, die für Mieter von Geschäftsräumlichkeiten von besonderer Bedeutung ist. Mieter von gesetzlich geschlossenen Geschäftsräumlichkeiten stellen sich nämlich die Frage, ob sie gestützt auf diese Bestimmung von der Bezahlung des Mietzinses befreit sind. Nun liegt eine erste gerichtliche Entscheidung vor.   

Zum Sachverhalt und zu den Rechtsstandpunkten der Streitteile

Die Klägerin war Vermieterin eines Geschäftslokales. Die Beklagte mietete dieses Geschäftslokal zum Betrieb eines Frisiersalons. Aufgrund der gesetzlichen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 musste das Geschäftslokal im Zeitraum 16.03.2020 bis 30.04.2020 geschlossen bleiben. Die Mieterin zahlte im April nur die Betriebskosten, nicht aber die Miete. Dies zeigte sie der Vermieterin im Vorhinein auch schriftlich an.

Die Vermieterin war anderer Auffassung und brachte eine Mietzins- und Räumungsklage ein. Dabei argumentierte sie, dass die Mieterin ungeachtet der gesetzlichen Betriebsschließung zur Zahlung des Mietzinses verpflichtet sei. Die gesetzliche Geschäftsschließung sei dem allgemeinen Lebensrisiko des Unternehmers zuzuordnen. Darüber hinaus führe die Geschäftsschließung nur zu einer Umsatzverlagerung auf die Monate nach dem Lockdown. Letztendlich könne das Geschäftslokal auch während des Lockdowns als Lager bzw. als Büro genutzt werden.

Die Mieterin war genau gegenteiliger Auffassung und meinte, COVID-19 sei eine Seuche bzw. ein außerordentlicher Zufall im Sinne des § 1104 ABGB, der für genau solche Fälle die Befreiung des Mietzinses vorsehe. Ferner sei auch zu berücksichtigen, dass der Vertragszweck, der im gegenständlichen Fall laut Mietvertrag das Betreiben eines Frisiersalons sei, mit den gesetzlichen Maßnahmen weggefallen sei.

Zur rechtlichen Würdigung des BG Wien-Meidling (9 C 368/20b)

Das BG Wien-Meidling schloss sich der Rechtsansicht der Mieterin an. § 1104 ABGB sieht nämlich vor, dass der Mieter von der Mietzinszahlung für den Fall der Seuche befreit ist. Unter einer Seuche versteht man eine bedrohliche und sich rasch verbreitende Krankheit, was nach Ansicht des BG Wien-Meidling bei COVID-19 der Fall ist. Entscheidend sei weiters, dass durch die gesetzlichen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 die Benützung zum bedungenen Gebrauch, was gegenständlich laut Mietvertrag der Betrieb eines Frisiersalons war, gänzlich unmöglich wurde. Daran mag auch die Nutzungsmöglichkeit als Lager und Büroräumlichkeit nichts ändern, spielen diese beim Betrieb eines Frisiersalons doch nur untergeordnete Rolle.

Letztlich verwies das BG Wien-Meidling auch noch darauf, dass ein Nachholeffekt im auf den Lockdown folgenden Zeitraum bei einem Friseur auszuschließen ist. Auf eine Umsatzverlagerung komme es bei der Frage der Mietzinsbefreiung nach § 1104 ABGB im Übrigen auch gar nicht an.

Was ist die Folge?

Mit der nun vorliegenden Entscheidung des BG Wien-Meidling liegt ein erstes richtungsweisendes Judikat vor. Entscheidend für die Frage, ob der Mietzins zu bezahlen ist, sei nach dieser Entscheidung, ob der Bestandgegenstand zum bedungenen Gebrauch genutzt werden kann oder ob die bedungene Nutzung unmöglich ist. Welche konkrete Nutzung vereinbart ist, ergibt sich meist aus dem Mietvertrag; ansonsten ist dieser mit einer ergänzenden Vertragsauslegung zu ermitteln.

Ob andere Gerichte, insbesondere höhere Instanzen, der Gerichtsentscheidung des BG Wien-Meidling inhaltlich folgen werden, bleibt abzuwarten. Wer als Mieter lieber die sichere Variante wählen und – bei einem finanzstarken Vermieter – nicht gleich eine Mietzins- und Räumungsklage riskieren möchte, für den empfiehlt es sich, während der gesetzlichen Betriebsschließung den Mietzins unter Vorbehalt zu bezahlen. In den nächsten Wochen und Monaten werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch andere Gerichte mit der Frage der Mietzinsbefreiung im Zusammenhang mit COVID-19 bedingten Betriebsschließungen befassen. Aus den dann vorliegenden Entscheidungen wird man die in Österreich geltende Rechtslage ableiten können.

Bis dahin unter Vorbehalt bezahlte Mietzinse können im Falle einer Mietzinsbefreiung unter Beachtung der verjährungsrechtlichen Bestimmungen wieder zurückgefordert werden.